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24.04.2008 - Enttäubungsmittel... |
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Halluzinogene - Mit Trips gegen das Trauma
von HENRI GABRIEL
Halluzinogene Substanzen verändern nicht nur die
Sinneswahrnehmung - das Raum- und Zeitempfinden. Psychische Prozesse
werden verstärkt und das Unbewusste tritt zu Tage, wodurch auch
Erinnerungen an traumatische Erlebnisse lebendig werden können.
Stanislav Grof, aus Tschechien stammender US-Psychiater und eine
Kapazität auf dem Gebiet der LSD-Therapie, spricht vom "Mikroskop oder
Teleskop der Psychiatrie".
Am Horizont der Forschung erscheint nun eine Behandlungsmethode,
die die "Seele offenbart". Die psycholytische Psychotherapie nutzt
psychoaktive Substanzen als Werkzeug (tiefen-)psychologischer
Diagnostik und Forschung, um geistig-seelische Phänomene und Prozesse
ans Licht zu bringen, die sonst kaum zugänglich sind. Gute
Voraussetzungen für eine Persönlichkeitsdiagnose und die Therapie
psychischer Störungen.
Bereits vor 50 Jahren gab es zahlreiche Untersuchungen, die zu
klären versuchten, inwieweit es dabei zu einer Schädigung des Gehirns
kommen könnte. "In diesen hochseriösen Untersuchungen mussten
amerikanische Regierungsbehörden feststellen, dass keine bleibenden
Effekte von LSD nachweisbar sind - auch nicht bei höheren Dosierungen",
sagt Torsten Passie, Psychiater und Physiotherapeut an der
Medizinischen Hochschule Hannover und Vorstandsmitglied der
Schweizerischen Ärztegesellschaft für psycholytische Therapie (Säpt).
Er ist international bekannt durch seine Forschungen zur
therapeutischen Anwendung von halluzinogenen Drogen in der
Psychotherapie. Passie ergänzt: "Psychisches Erleben kann allerdings zu
Nachwirkungen führen." Bis heute gebe es "keinerlei Evidenz dafür, dass
LSD in irgendeiner Weise die geistigen Fähigkeiten bleibend
beeinträchtigt oder verändert."
Die Wiege der Psychedelika liegt in der Schweiz. Früh erkannten
Forscher dort, dass LSD, Psilosybin, Meskalin, Ayahuasca, Ibigane,
Ketamin und MDMA (Ecstasy) keine suchterzeugenden Drogen im klassischen
Sinne sind. Gemäß LSD-Entdecker Albert Hofmann zählen sie, "was
chemische Struktur und pharmakologische Wirkung betreffen, zu den durch
das LSD wieder entdeckten sakralen Substanzen, die seit Jahrtausenden
im rituellen Rahmen verwendet werden". Kein Betäubungsmittel, eher ein
Enttäubungsmittel.
Als Reaktion auf den Massendrogenkonsum in der westlichen Welt in
den 60er Jahren wurden die bewusstseinsaktiven Stoffe durchweg als
Betäubungsmittel ohne medizinischen Nutzen deklariert und ihre
Anwendung schon vor Jahrzehnten weltweit verboten. Das brachte die
Forschung auf diesem Gebiet praktisch zum Erliegen.
So kam es einem Paradigmenwechsel gleich, als im vergangenen Jahr
bekannt wurde, dass der Säpt der seit 35 Jahren weltweit erste
offizielle therapeutische Gebrauch psychoaktiver Substanzen im Rahmen
einer Studie gestattet wurde. Am 12. Juli 2007 bewilligte die
Ethikkommission der Schweiz und das Bundesamt für Gesundheit eine
LSD-gestützte Therapie mit zwölf Teilnehmern, die an posttraumatischen
Angstzuständen infolge Unfalls, Vergewaltigung, Kriegseinwirkung,
Folter oder an einer tödlich verlaufenden Krankheit leiden.
Im Mittelpunkt der Therapie steht das angestrebte Gipfelerlebnis.
"Zuerst bekommen die Patienten MDMA", erläutert Torsten Passie, "das
ist besser zu handhaben, später einige Male LSD." Seiner Einschätzung
nach schlage die Behandlung besser an, wenn die Patienten noch nicht
unter einer schweren Traumatisierung litten: "Je gesünder die Kranken
sind, desto mehr profitieren sie von der Behandlung. Sie haben dann
größere Selbstheilungsfähigkeiten."
Peter Gasser, Solothurner Psychiater und Psychotherapeut,
Säpt-Präsident und Leiter des Projektes, sieht deshalb Anlass zur
Hoffnung, psycholytische Psychotherapien bald wieder einsetzen zu
können: "Es geht mir um den ganzheitlichen Zugang, und gerade dabei
kann LSD entscheidend helfen. Man hat mit dieser Indikation bereits in
den 60ern geforscht und gute Erfahrungen gemacht, ich mache also
weiter, wo man damals aufhören musste."
Ein eher zufällig entdeckter Anwendungsbereich halluzinogener
Substanzen liegt in der Wandlung der Einstellung zum Tod bei so
genannten Terminalpatienten - jenen also, die dem Tode nahe und von
Ängsten gepeinigt sind. Bei ihnen kann eine psychedelische Therapie zu
einem tieferen Verständnis von Kunst und Religion, zu einer Erweiterung
und Veränderung der eigenen Erfahrung vom Sterben führen.
Gasser behandelt seine Patienten drei Monate lang. Dabei erhalten
sie zwei mal eine Dosis von 200 Mikrogramm LSD: "Der Patient kann die
Erfahrung machen, sich mit seiner Umwelt verbunden zu fühlen, mit der
Natur und auch mit sich selbst. Das kann sich sehr positiv auf seine
Ängste auswirken." Das LSD wird als Katalysator eingesetzt. Der Patient
ruht auf einer Liege in einem abgedunkelten Raum mit dem anwesenden
Psychiater. Der fordert ihn auf, während die Droge zu wirken beginnt,
sich den auftauchenden Eindrücken, Gefühlen und Visionen unbefangen
hinzugeben. So gelingt selbst bei stark therapieresistenten Patienten
die Überwindung verfestigter Abwehrstrukturen. Ziel ist es, den
Patienten ihre Ängste bewusst zu machen, während sie sich geborgen
fühlen. Erst wenn die Wirkung nach vier, fünf Stunden langsam abklingt,
werten Therapeut und Patient das Erlebte im Gespräch aus.
Unter dem Einfluss von Psychedelika macht der Patient
transpersonale, spirituelle Erfahrungen. Dabei müssen angenehme ebenso
wie unerfreuliche, Stress behaftete, schwierige Themen im Beisein des
Psychiaters erarbeitet werden. Ziel ist, dass der Patient diese
Erfahrung in sein reales Leben integriert und gleichzeitig ein
heilsames Gefühl im Sinne von Ganzheit, von "alles ist gut", entwickelt.
Das Erleben der Ich-Auflösung als Transzendenz
individuell-körperlicher Begrenztheit setzt ein, ein Gefühl der
Geborgenheit, das über die Vergänglichkeit des Körpers hinausweist. Der
Patient kann sich angstfreier und entspannter mit der Perspektive des
nahenden Todes auseinandersetzen. Er spürt, mit allem verbunden zu
sein. Die verstärkte Wahrnehmung der Strukturen des eigenen Lebens kann
zu einer mystischen Erfahrung führen. Geht dieser Prozess gut,
produziert er Zufriedenheit, Gefühle von Dankbarkeit, Glück und Gnade.
In Deutschland stehen die Substanzen, die unter das
Betäubungsmittelgesetz fallen, dennoch weiterhin nicht für
therapeutische Zwecke zur Verfügung. Auch Studien gibt es keine.
Torsten Passie nennt ausgesprochen nüchterne Gründe dafür: "Erstens
sind sämtliche Patente längst abgelaufen. Und die Pharmaindustrie
finanziert keine Studie, wenn sie nichts davon hat. Sie zeigt auch
keinerlei Interesse an Substanzen, die von Patienten nur einmal
eingenommen werden müssen. Einem Patienten wäre vielleicht dreimal MDMA
und zweimal LSD zu verabreichen. Damit lässt sich kein Geld verdienen."
Drastischer noch: Nach einer psychedelischen Therapie könnte es
passieren, "dass der Patient sich viel besser fühlt oder völlig geheilt
ist, statt bei leicht verbesserten Symptomen jahrelang Medikamente
einnehmen zu müssen."
Ergebnisse der Säpt-Studie sollen 2010 veröffentlicht werden.
Offen bleibt, ob es je auch in Deutschland legal möglich sein wird,
Wirksamkeit und Sicherheit psychotherapeutischer Anwendungen zu
überprüfen, um verlässliche Aussagen über das therapeutische Potenzial
der verschiedenen Psychedelika zu erhalten.
Copyright © FR-online.de 2008
Dokument erstellt am 16.04.2008 um 16:44:02 Uhr
Letzte Änderung am 23.04.2008 um 08:30:20 Uhr
Erscheinungsdatum 17.04.2008 |
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